Wir verlieren unsere Kinder

Smartphone und Internet dominieren längst die Welt vieler Jugendlichen. Schüler beschäftigen sich zu Hause, auf dem Schulweg oder auf dem Schulhof oftmals mehr mit Inhalten, die auf dem Display erscheinen, als mit nützlicheren Dingen. Dass diese Inhalte oftmals nicht nur verblöden, sondern auch sehr gefährlich sein können, das zeigt Silke Müller in Ihrem Buch „Wir verlieren unsere Kinder“ auf. Warum das Buch nicht nur schockiert, sondern vor allem für Eltern sehr wichtig ist, das erfahren Sie in der folgenden Rezension.

Über die Autorin

Silke Müller, eine Einwohnerin von Hatten im Landkreis Oldenburg, ist die Schulleiterin einer Schule in Niedersachsen. Seit dem Jahr 2021 ist sie die führende Digitalbotschafterin ihres Landes. Ihre Hauptanliegen sind eine wertebasierte Erziehung, die auf ethischen und demokratischen Grundsätzen beruht, insbesondere in Bezug auf die digitale Welt. Zusätzlich zu ihrer beruflichen Rolle ist Silke Müller (Stief-)Mutter zweier Töchter.

Kinder in der digitalen Parallelwelt

Das Buch hat 224 Seiten und ein laminiertes Pappcover. Es fühlt sich an wie eine Mischung aus einem Soft- und Hardcover-Buch. Bereits im Vorwort wird klar, dass es sich in diesem Buch nicht um einen simplen Ratgeber handelt, sondern vielmehr um eine dringende Warnung vor einer völligen Ausartung der mit der digital alleingelassenen Kinder in dieser Gesellschaft. Erstmals meldet sich eine Schulleiterin öffentlich mit einem derartigen Buch zu Wort und erzählt dabei schockierende Dinge, die wie aus einem Psycho-Thriller klingen, doch leider aus ihrem Schulalltag stammen. Sie sollen helfen, andere Eltern zu warnen und bietet Tipps und Tricks zur besseren Aufsicht.

Zunächst wird im Buch viel über den IST-Zustand der Kinder gesprochen und die Tatsache, dass immer mehr Schüler mit ihrem Smartphone alleingelassen werden. Sie erhalten das Smartphone, bekommen eine Flat und haben keinerlei Restriktionen- und das oftmals schon ab dem Grundschulalter. Während viele Eltern bereits der einen oder anderen App hinterherhinken und in der Flut von immer neuen Anwendungen und technischen Raffinessen überfordert zu sein scheinen, sind Kinder ihnen meist 3 Schritte voraus. Im Grunde keine schlechte Sache, wenn man es nur technisch betrachtet, doch im Buch „Wir verlieren unsere Kinder“ wird schnell klar, dass dieser „Fortschritt“ auch seine Schattenseiten hat.

Auch erfährt man in diesem Buch, dass auch Schulen längst nicht auf Augenhöhe mit diesen Entwicklungen sind. Laut der Autorin fehlt es vielen Schulen vor allem an der Übermittlung einer „digitalen Ethik“ und einer „Social-Media-Sprechstunde“. Letztere wurde an ihrer Schule eingeführt und erzielte bereits Erfolge. Diese bei genannten Punkte wären für alle Schulen ein wichtiger Ansatz zur Hilfe in einer Welt, in der sich viele Schüler alleingelassen fühlen oder einfach keine Ahnung haben, in welche Gefahren sie sich begeben oder was sie mit ihrem Verhalten anrichten und welche Konsequenzen sie mit sich führen.

Durch das Buch wird schnell klar, wie sehr für viele Schüler doch das Smartphone, das Internet und vor allem Apps wie TikTok den Alltag beherrschen. Bis zu 10 Stunden und mehr sind Kinder im Grundschul- und Teenager-Alter teilweise schon am Handy. Die Autorin erzählt dabei auch von Umfragen, die von 150 Schülern ihrer Schule gemacht wurden. Dass hierbei Apps wie TikTok, YouTube, Instagram und WhatsApp ganz oben standen sollte keinen überraschen. Auch zeigt die Autorin auf, dass es bereits im Grundschulalter eine Art Klassenzwang herrscht, bei dem Kinder bereits als Außenseiter gelten, die noch kein Smartphone besitzen. Eltern geben also oft nach in der Annahme ihren Kindern damit zu helfen, was oftmals- und das erfährt man später im Buch- noch zu schlimmeren Folgen führt.

Schlimme Fälle aus dem Schulalltag

Nach all den aufklärenden und einleitenden Worte geht es nun ans Eingemachte. Die Autorin nennt acht Fälle, die sie selbst aus ihrem Schulalltag erlebt hat. Namen der Kinder wurden dabei stets verändert. Bereits der erste Fall, in dem es um eine „Dickpic-Challenge“ geht lässt nur erahnen wie schlimm das Ganze für heranwachsende Kinder sein muss. Minderjährige Mädchen, die von erwachsenden Männern Bilder von ihrem Geschlechtsteil erhalten. Unglaublich aber laut Müller leider Alltag bei vielen Kindern. Genutzt wird das Smartphone und verschiedene Dienste und Apps wie TikTok, WhatsApp oder Snapchat. Bei letzterem verschwinden die Nachrichten nach wenigen Minuten, was das Ganze auch nicht nachkontrollierbar macht. Das sogenannte Air-Droping spielt dabei auch oftmals eine Rolle. Bereits 9-jährige Kinder, die sich teils anonym im Bus, Zug oder auf dem Schulhof pornografisches, gewaltverherrlichendes oder rassistisches Material einfach per Bluetooth versenden. Ein schlimmes Unterfangen, während Lehrer und Eltern nichts von all dem mitbekommen. Die einzelnen Erzählungen sind dabei sehr ausführlich mit mitreißend.

Leider gibt es bei den geteilten Videos nicht „nur“ pornographische Inhalte sondern auch Videos von Hinrichtungen oder Tierquälereien. Die Autorin prangert in ihrem Buch an, dass diese Art von Bildern/Videos für viele minderjährige Kinder bereits normal sind, während solche Inhalte selbst für Eltern und Lehrer kaum erträglich sind. Eine Art Verrohung der Jugend würde immer mehr stattfinden. Hinzu kommen laut Müller Verharmlosungen von Hitler durch Memes und dergleichen. In den weiteren Fällen wird klar, dass die Gefahren überall lauern. Vor allem da, wo Mädchen und Jungs aktiv werden und Bilder oder Videos von sich preisgeben. Diese können von anderen schnell missbraucht und geteilt werden. Landen sie einmal im Netz ist es kaum möglich diese Cybermobbing-Attacken vollständig zu eliminieren. So berichtet die Autorin u.a. von Kindern die dem Selbstmord nahe waren und in eine andere Stadt ziehen mussten.

Neuartige Dating-Apps auf denen mit wildfremden in einer Art Roulette gechattet wird gehört ebenfalls zu Dingen, vor denen die Autorin warnt. Fassungslos liest man mit welcher Naivität und wie alleingelassen meist weibliche Schüler mittels Smartphone und Internet mit fremden, meist erwachsenen Männern agieren. Über Sexting und Cybergrooming klärt die Autorin ebenfalls auf. Auch Computerspiele kommen in diesem Buch auf ihre Kosten. Auch wenn der Fokus etwas zu sehr auf dem bereits etwas älteren Spiel GTA V ist, so lernt man jedoch auch von anderen Spielen wie Roblox, vor denen sie warnt. Dennoch lenkt sie den Fokus zurecht darauf, dass GTA V kein harmloses Autorennen ist, sondern auch dafür genutzt werden kann andere Menschen zu foltern und online in Sprach-Chats mit anderen in Kontakt zu treten.

Im gesamten Buch beschreibt Silke Müller mehrfach ihr Entsetzen über die Verrohung der heutigen Schüler. Gewalt, Pornografie, Rassismus und suizidales Gedankengut nehmen den Raum ein und es würde an Moral und Mitgefühl immer mehr fehlen. Kinder werden durch soziale Medien beeinflusst und mit Verschwörungstheorien sowie Ideologien konfrontiert sowie manipuliert. Im Grunde lässt die Autorin lediglich das Thema Gender-Mainstream unberührt.

TikTok und Co.

Im Kapitel TikTok und Co. wird sehr ausführlich beschrieben, welch großen Stellenwert diese Plattform bei vielen Kindern und Jugendlichen eingenommen hat. Schüler sind in einer Art Sucht verfallen und definieren ihren Selbstwert durch Likes und Kommentare. Die Fremd- und Selbstwahrnehmung sei bei vielen Kids bereits gestört. Natürlich fehlt in diesem Buch auch kein Blick auf die TikTok-Challenges. Darunter tummeln sich einige eher harmlose Challenges wie die Liegestützen-Challenge oder die Macarena-Challenge, aber auch heftigere wie die Schultoiletten Challenge, bei denen Schüler auf der Toilette gefilmt werden oder Challenges bei denen Schüler andere Schüler aus dem Nichts ins Gesicht schlagen. Es gibt zudem auch einen Blick auf die lebensgefährliche Blackout-Challenge. Leider ist der Fokus hier zu sehr auf dieser einen gesetzt, gibt es doch noch viele weitere schlimme Challenges, die Kinder in Lebensgefahr bringen. Hierauf hätte noch etwas detailreicher der Fokus gesetzt werden können.

Auch wird im Buch aufgezeigt, dass TikTok es leider nicht hinbekommt gewaltverherrlichende, pornographische und rassistische Videos zu sperren oder Cybermobbing sowie Cybergrooming zu verhindern. Daher appelliert die Autorin vor allem an Schulen und Eltern, dass sie die Rolle einnehmen und ein Auge darauf werfen, was ihren Kinder sich auf TikTok und generell an ihrem Smartphone ansehen. Jeder sollte sich laut Müller mit den Apps der Kinder befassen und Minderjährigen nicht erlauben mit dem Smartphone ins Bett zu gehen.

TikTok ist längst nicht die einzige Gefahrenquelle. Laut der Autorin sind u.a. auch Dienste wie Zoom, Instagram, YouTube, Facebook, Reddit, Likee, BeReal, Discord und sogar WhatsApp betroffen. Datenschutzeinstellungen können bei vielen Diensten wie Discord, WhatsApp und vielen Games eine zusätzliche Hilfe sein. Hier können Dinge wie, dass man von fremden angeschrieben wird meist deaktiviert werden.  

Auswege für eine bessere Zukunft

Im Buch wird zwar beschrieben, dass zwar „der Karren an die Wand gefahren ist“ aber es dennoch Wege gibt Kinder vor weiteren Übergriffen auf ihre psychische und körperliche Gesundheit zu bewahren. Hierbei liegt es vor allem an den Eltern aber auch Schulen und der Politik, sich mehr mit der Materie vertraut zu machen. Hierzu nennt sie im Buch viele hilfreiche Ideen und Tipps für den Alltag zum Schutz der Kinder und zur Förderung der digitalen Medienkompetenz.

Die Autorin richtet einen dringenden Appell an Eltern, Schulen und auch Politiker, nicht länger wegsehen zu dürfen, sondern endlich die Dringlichkeit und Gefahr zu erkennen, die für Kinder und Jugendliche vor allem von sozialen Netzwerken ausgeht. Es ist von größter Bedeutung, dass alle zeitgemäße Medienkompetenz erlangen. Silke Müller verurteilt keineswegs soziale Netzwerke an sich und sie beabsichtigt nicht, deren Nutzung durch Kinder und Jugendliche zu verbieten. Vielmehr setzt sie sich dafür ein, dass die Digitalisierung in allen Bereichen effektiv weiterentwickelt wird, jedoch unter etisch-moralischen Prinzipien. 

Fazit

Jeder, der selbst Kinder im Grundschul- und Teenageralter hat, sollte das Buch „Wir verlieren unsere Kinder“ von Silke Müller lesen. Was klingt wie ein plumper Werbespruch ist vielmehr eine dringende Lese-Empfehlung. Das Buch stellt in schockierender und aufklärender Weise klar, wie schlimm es um die heutige Jugend steht. Es werden dabei nicht nur Missstände aufgezeigt, sondern Mittel und Wege erklärt, die es Eltern und Schulen ermöglichen einzugreifen.

An vielen Stellen dieses Buches war das was die Autorin schrieb schockierend, entsetzlich und auch grausam aber leider entstammen diese Geschichten aus dem Alltag an ihrer Schule. Das Lesen dieser einzelnen Details lässt nur erahnen, wie schlimm es für sie und ihre Kollegen sein musste Bilder und Videos zu sehen, in denen Menschen und Tiere gequält und getötet wurden!

Wie man ganz klar erkennen kann ist das Buch ist keine Hassrede an soziale Medien, sondern vielmehr ein Wachrütteln an alle, sich auf eine Art digitale Ethik zu besinnen, die in der aktuellen Zeit dringend notwendig wären. Schulen sollen eine „Social-Media-Sprechstunde“ bekommen und Eltern müssen mehr hinschauen, was ihre Kinder am Smartphone so machen und ihnen dabei mit Rat und Tat zur Seite stehen. Der Grundkonsens des Buches: Soziale Medien an sich sind nicht böse, sondern das, was Menschen teilweise daraus machen! Eltern machen sich dabei mit schuldig, wenn sie Kinder mit geschlossenen Augen in dieser kriminellen und gefährlichen digitalen Parallelwelt absetzen und Pädagogen und Politiker machen sich mitschuldig, wenn sie weiterhin tatenlos dabei zusehen!

TikTok und die Gefahren für Kinder

Kommentare   
+1 # Alberti 2023-05-17 09:31
Würde es doch mehr Menschen wie die Autorin geben, die hier mal wirklich eine Veränderung will. Vielen Eltern, Schulen und Politikern scheint es ja egal zu sein, dass unsere Kids immer mehr abstumpfen und versinken. Wie viele Kinder sollen noch zu Schaden kommen, bevor die EU wenigstens mal etwas unternimmt und Regulierungen oder Verbote für Apps wie TikTok ausspricht?

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